Fotografie
27. 11. 2005 – 19. 02. 2006
Eröffnung 27. 11. 2005, 11:00 Uhr, in der Galerie des Kunstvereins Aalen

Carneval in Venedig

Im äußersten Eck des Platzes sehe ich jetzt, dem Weitblick von Kaffeehausstühlen und vom Orchesterpodium halb verborgen, karottenrote Figuren leuchten, die mich, während ich noch hastig eine posierende Gruppe hier, eine andere da fotografiere, immer näher lockt. Schließlich stehe ich vor einer Maske – eher einer Maskenfigur -, die alles ringsum in den Schatten stellt! Zwei wie ein siamesischer Zwilling verbundene Frauenleiber aus prall mit Kapok gefüllten Stoffen, eine zinnoberrote Federboa im poppigen Kontrast zum Pinkrosa des einen, zwei Paar pralle Brüste und ein bronzegrünes Schnabeltier, das nach ihnen – so scheint es – hacken will! Ein plastische Vexierbild, ähnlich der Schaubudenattraktion >Die Marsfrauen<, mit der ich auf dem Chemnitzer Jahrmarkt als Kind hinters Licht geführt wurde. Da waren aber wenigstens die Köpfe echt, während ich hier vergeblich nach einem Stück Leiblichkeit suche. Dafür entdecke ich eine Art Schärpe mit der Aufschrift >Hommage á Max Ernst<. Statt Selbstdarstellung also eine Huldigung an den großen deutschen surrealistischen Künstler, der einmal hier in Venedig verheiratet war. Als ich die Kamera auf die Schriftbanderole richte, sehe ich, wie sich aus einer Falte zwischen rosa Textilwülsten eine Hand mit einer Visitenkarte herausschiebt und höre eine Stimme: >Please send picture!<
Diese Figur – >Maske möchte ich sie kaum nennen – schießt den Vogel ab: Nicht nur, dass die alte Frau, die darin steckt, eine Carnevals-Berühmtheit, wie ich aus einer Gruppe Einheimischer höre, sich die meiste Mühe von allen gegeben hat – >ein ganzes Jahr hat sie an ihrer Figur hingearbeitet<, sie verkörpert mit ihr am deutlichsten das statische Element, das diesen Carneval an Stelle des faschingsgewohnten dynamischen bestimmt. Die Alte hat also ein wahres Carnevalsdenkmal für diese Stadt erfunden, die ja an sich schon mehr ein Produkt der Phantasie ist als ein normales >Stadtgefüge<. Ihr ist es geglückt, mit nichts als Stoffen und Federn das Unwahrscheinliche der Serenissima, dieses >größten Weltwunders aus Menschenhand< an der Grenze zwischen Orient und Okzident, mit ihrem Maskendenkmal ins Surreale zu überhöhen.
(Aus: Lothar-Günther Buchheim, Carneval in Venedig)

Paris – Paris

Vom Sehen besessen fotografierte Lothar-Günther Buchheim das Leben in Paris. Er hat Fotos in den vierziger Jahren gemacht, im Krieg und kurz danach. Bilder und Texte erzählen vom Paris der kleinen Leute, der Händler und Schausteller, der leichten Mädchen, der Künstler und Kinder, von einem Paris, das es so nicht mehr gibt. Es sind Bilder gegen die Vergänglichkeit. (Piper-Verlag)

»In dem Holzkoffer mit den alten U-Boot-Filmen fand sich eine Schachtel, auf der mit Bleistift >Paris< stand.« Mit diesen erst nach Jahrzehnten wiederentdeckten Fotos begab sich Lothar-Günther Buchheim auf eine Reise in die Vergangenheit, in sein Paris der Kriegs- und Nachkriegsjahre.

LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM, geboren 1918 in Weimar, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Chemnitz. Bereits mit vierzehn Jahren zeichnendes und malendes »Wunderkind«. Mitarbeit an Zeitungen und Zeitschriften sowie Teilnahme an Kunstausstellungen. Nach dem Abitur Donaufahrt mit dem Faltboot bis ins Schwarze Meer (»Tage und Nächte steigen aus dem Strom«). Studium an den Kunstakademien in Dresden und München. Im Zweiten Weltkrieg Kriegsberichter, ursprünglich Kriegsmaler, mit Einsätzen auf Minenräumbooten, Zerstörern und U-Booten. Nach dem Krieg Gründung einer Kunstgalerie und eines Kunstbuchverlags. In den fünfziger Jahren entsteht seine bedeutende Sammlung von Gemälden des deutschen Expressionismus.
Seine Bücher »Die Künstlergemeinschaft >Brücke<«, »Der Blaue Reiter« u.a. erscheinen. Bis zum Tage Standardwerke zum deutschen Expressionismus.
1973 erschien der Weltbestseller »Das Boot«, danach die Bild/Textband-Trilogie »UBoot-Krieg«, »Die U-Boot-Fahrer«, »Zu Tode gesiegt«. 1995 der Roman »Die Festung«, 2000 »Der Abschied«. Lothar-Günther Buchheim lebt gemeinsam mit seiner Frau in Feldafing am Starnberger See. Sein »Buchheim Museum der Phantasie« wurde 2001 in  Bernried am Starnberger See eröffnet.
(Aus: Lothar-Günther Buchheim, Paris-Paris)