…. “Eine Welt des reinen, unverbrauchten Blicks, in der die Dinge und Gegenstände die reine Lust am Sein und Dasein atmen. …Die Farbe, Malerei bis an den Punkt treiben, an dem sie verkörpert, an dem sie Gegenstand wird, ohne direkt auf Bekanntes und Benennbares aus der gegenständlichen Welt zurückzugreifen.“

29.03.2009 bis 17.05.2009

Über Herbert Maiers Malerei

Herbert Maier führt die Malerei an einen Break-even der Gegensätze, die sich nicht aufheben lassen. Die Flächen sind nie flach: Sie sind stark verdichtete, in sich vibrierende Texturen, die bei näherem Hinsehen den Blick in die Tiefe reißen, weil das Gewebe so fest gar nicht ist und an einzelnen Stellen frühere Malschichten zu erkennen gibt. Das gleiche gilt für die Formen: Sie sind in ihrer Bedeutung nie determiniert, und wie um hervorzuheben, dass sich die Bildfindungen unterschiedlich lesen lassen, verzahnt Maier die Bildzonen oder stellt sie so gegeneinander, dass Positiv-Negativ-Effekte entstehen – als gelte es, die gleiche Aussage noch einmal unter anderen Vorzeichen zu erproben…
Maiers Malerei ist auf eine eigene, kompakte Weise transparent… War die Malerei mit der Erfindung der Tubenfarbe einst auf den Kurs einer beschleunigenden Epoche eingeschwenkt, so hat jetzt Maier die Geschwindigkeit des Malakts auf das Tempo des Mittelalters, der Renaissance, des Barock heruntergedrosselt. …Seit Paris (Stipendienaufenthalt in der Cité des Arts International 2000/2001) werden die Bilder Schicht um Schicht aufgebaut. Maier beginnt mit direkten Untermalungen und legt dann in einem langwierigen Arbeitsprozess mehrere Lasuren von Ölfarbe über die Grundierung. Dieses Verfahren entspricht nicht zuletzt Maiers Vorstellung von der Malerei als Speicher, wie er sie Ende der neunziger Jahre zunächst in ausgeprägt pastosen Ölbildern artikuliert hat. Die Malerei ist der Ort, an dem die bildexterne Realität ihren Niederschlag findet, ohne dass sie deshalb zur Abbildung oder Reproduktion würde. Die Malerei nimmt alle möglichen Tatsachen, Gegenstände oder auch Bilder auf, die sich als individuelle Momentaufnahmen oder als allgemeiner kultureller Nachlass im Gedächtnis angelagert haben… Maier befragt die Einzelbilder, er löst sie aus den Kategorien der Kunstgeschichte, entledigt sie ihrer stilistischen oder historischen Klassifikation, um so zu einem Kern, zu einer Essenz vorzudringen, die er einerseits herausschält oder herausfiltert, andererseits in einen übergeordneten, umfassenden, universaler Zusammenhang überführt und einbindet. Malerei als Speicher: Das bedeutet, dass selbst die scheinbare Leere der Bilder Begriffe und Botschaften birgt – auch wenn sie sich im einzelnen nicht freilegen lassen, weil der Vorhang, der zur Seite gezogen werden müsste, die Malerei selbst ist. Maier treibt die immanente Spannung zwischen Realitätsbezug und restloser formaler Abstraktion auf die Spitze. Das, was man Inhalt nennen könnte, fließt in die Malerei ein, wird von ihr absorbiert, bildet ihr Substrat, und ist doch zugleich nur als Malerei erfahrbar.

Michael Hübl, Chefredakteur der »Badische Neueste Nachrichten«, aus dem Ausstellungskatalog 2003/04